Ich hoffe, dass es nur an der Jahreszeit liegt. Ich meine, es
muss doch an der Jahreszeit liegen.
Eine andere Erklärung mag ich nicht finden dafür, dass ich zusehends verlusche, und eine Ausrede will mir schon gar nicht einfallen. Es müssen die Geister all meiner zurückliegenden Weihnachten sein, die mich heimgesucht und weichgekocht haben wie den alten Scrooge. Einstmals stolzer Stürmer, vor nichts Angst, keine Sauerei scheuend, keinem Streit entfleuchend, Stachel im Fleisch derer, denen ich Mores und das Fürchten lehren wollte, verweichliche ich in den letzten Tagen zusehends.
Wo ich als grimmer Frost und blau schimmernd das Land und seine Hackfressen mit Gemeinheiten und Verachtung überziehen und mit Eiszapfen um mich schießen sollte, ist alles, wozu ich fähig bin, nichts als ein trüber Punsch aus Nettigkeiten und irgendwelchen Liedchen von der Liebe. Wo ich den Frolleins und Pfosten dieser Welt mit ein paar schnellen Stößen den Garaus machen sollte -
Flêche,
Riposte und Schluss - brauche ich längst beide Hände, um den Säbel noch einigermaßen greifen zu können. Und kriege ihn einfach nicht mehr hoch. Nicht einmal eine
Ejaculatio praecox ins Auge des Feindes. Nichts. Aggressionsstörung, Beißhemmung, massiv.
Stattdessen sehe ich mir Weihnachtsdeko an und schmelze dahin. Verbringe ein komplettes Wochenende damit, Plätzchen zu backen und stehe mit einer ähnlich dämlichen Visage wie
Bob Ross vor einem Blech voller halbfertiger Zimtsterne, Kuchenpinsel in der Hand,
a little bit of liquid white und streichle Klebzeugs aus Eischnee und Puderzucker auf die Dinger. Damit nicht genug, verschenke ich auch noch
Plätzchenherzchen mit Bloggernamen, spreche schwachsinnige Empfehlungen mit Idiotengenitiv aus (s. Bild) oder ergehe mich in Liebeserklärungen an
Frauen, die eh bald einen anderen Typen heiraten. Und das Schlimmste ist: Ich finde das alles noch nicht mal schlimm. Ist ja bald Weihnachten, da darf man schon mal ein bisschen freundlich sein. Ja Scheiße! Wer ficken will, muss freundlich sein, hieß es früher mal. Aber wegen Weihnachten? Da kann doch was nicht stimmen.
"Das süße Gesotter ist ja nicht zu ertragen! Mach doch bitte wieder was kaputt!" hat mir eine sehr gute Freundin mal geschrieben. Das liegt jetzt Jahre zurück, und ich hatte gedacht, ich hätte es überstanden. Pfeifendeckel. Am Arsch, die Räuber. Kaum brennt das erste Lichtlein, geht es mit mir durch und ich werde lieb und konziliant. Ich halte mich zurück und meine Klappe, wenn panne Leute woanders panne Pferdesachen sagen, ich kann mich nicht aufraffen, wenigstens Markus Söder mal wieder für irgendwas zu beschimpfen, und selbst meine immer wieder aufgeschobene Philippika gegen Judith Holofernes muss weiterhin in irgendeiner dunklen Festplattenecke ihrer Vollendung entgegenharren. Währenddessen freue ich mich schon darauf, bald auch noch Vanillekipferl zu backen, mit echter Vanille aus echten Vanilleschoten und mit allem, was sonst noch an wunderbaren und einzigartigen Zutaten unbedingt da hineingehört, weil ich das so will, weil die doch gut werden müssen, die Vanillekipferl.
Nachts liege ich dann schlaflos im Bett und starre auf den überdimensionalen Nikolausstiefel, der aufm Schrank steht. Und wünsche mir nichts mehr, als dass einer kommt, der da hineinpasst in diesen Stiefel und mir Vollspann einen Tritt gegen die Hirnlappen gibt, damit ich wieder zu Sinnen komme. Wenn das jemand übernehmen möchte - bittesehr, nur zu.