Samstag, 18. November 2006

Auswärtsspiel Schulterblatt 1: Dean Martin und Papas Urlaubskassetten oder Mami, ich muss kotzen

Der nachfolgende Text ist einer von dreien, die ich zur Lesung im Haus 73 in Hamburg beigesteuert habe. Damit wir endlich mal weiterkommen mit diesem unsäglichen Nachlese-Mehrteiler.

Es gibt Lieder, die vergisst man nicht mehr, die trägt man sein ganzes Leben lang mit sich herum. Die nehmen einen mit in die Vergangenheit und pinseln eimerweise frische Farbe auf längst verblasste Bilder. Am schönsten sind die, die man nicht oft genug hören kann, weil man sie schon damals nicht oft genug hören konnte. Weil der Filmvorführer im Kopf dazu den allerersten richtigen Kuss mit der allerersten richtigen Frau zeigt oder diesen wunderbaren Abend an diesem wunderbaren Strand, wieder und wieder, in allen möglichen Einstellungen, in Superslowmotion. Director´s cut eben. Man hört die ersten paar Takte und ist wieder mittendrin, und man könnte heute noch heulen, weil kein Kuss vorher je so geschmeckt hat und keiner von denen, die noch kommen, je wieder so schmecken wird. Oder weil man weiß, dass der Strand von damals längst zugebaut ist und da jetzt die zu Beton versteinerten Scheißeträume von Touristenarchitektenhirnen stehen. Alles das kann die Erinnerung ausblenden und die Welt ist wieder, wie sie sein sollte, ein, zwei oder drei Lieder lang.

Und dann gibt es Lieder, die ganz andere Erinnerungen nach oben schwimmen lassen in der Suppe dessen, was man schon so alles mitgemacht hat im Leben. Das Zeugs auf Papas Urlaubskassetten, das sind solche Lieder. Und was dabei in meinem Kopf entsteht, das sind ganz andere Bilder.

Urlaub ging bei uns immer mit dem Auto, und die Fahrt hat immer lang gedauert, sehr lang. Papa hat dafür an den Wochenenden vorher immer Kassetten aufgenommen. Die liefen dann unaufhörlich. Drei Tage Hinfahrt, drei Tage Rückfahrt. So war das meistens. Beinahe ne ganze Woche Reise nur für die Reise. Was wunderbar war, also zumindest für mich wars wunderbar, ich habe die Welt geliebt, die da am Seitenfenster vorbeiflog. Papa hats halt gemacht, Mama saß daneben, und mein Schwesterchen hat gelitten. Elend gelitten. Und weil das so war, waren Papas Kassetten eigentlich immer auch der Soundtrack zur Reiseübelkeit meiner Schwester.

Ein Tape war auf jeder Fahrt dabei, und angesichts der Tatsache, dass man nicht wirklich alles wissen muss, was auf diesen Reisen passiert ist, werde ich mich im weiteren Verlauf auf dieses eine beschränken: Dean Martin, von Papa eigenhändig kompiliert. Bis heute verbinde ich mit dieser Musik kaum etwas anderes als Schwesterchens aschfahles Gesicht und Mamas beherzten Griff zur Kotztüte. Man könnte nun vielleicht mutmaßen, dass einem die Freude an gewissen Liedern vergeht, wenn sie in der Erinnerung nach einer Mischung aus halbverdauten Marmeladenbrötchen, gestockter Milch und ganz zum Schluss einfach nur nach Galle riechen.

Aber bei mir ist das anders. Ich liebe diese Lieder nach wie vor. Und Mama wurde über die Jahre wirklich gut darin, die Tüten, in denen auch unser Reiseproviant verpackt war, aus dem Seitenfach zu fischen und sie mit einer ebenso geschickten wie flinken Drehung aus dem Handgelenk über die Schulter zu führen, wo meine Schwester schon mit heftigsten Konvulsionen ihrer Schluckmuskulatur zu kämpfen hatte, nachdem Sie mit letzter Kraft noch ihr „Mami, ich muss kotzen!“ herausgebracht hatte. Draußen vor dem Fenster wurde dann beispielsweise eine Landstraße irgendwo in Südfrankreich allmählich langsamer, weil Papa im dem Wissen, dass da schon ab und an etwas daneben gehen konnte, auf die Bremse trat, und mein Schwesterlein übergab sich fast stumm in ein Zellophanbeutelchen. Dazu sang Dean Martin davon, das man ein Niemand sei, solange einen niemand liebte, wovon ich zu dieser Zeit natürlich noch keine Ahnung hatte. Aber ich verging ganz und gar in diesem Lied, und je mehr meine zutiefst bedauernswerte Schwester röchelnd und japsend von ihrem Mageninhalt in dieses eklige kleine Reiseaquarium spuckte, umso mehr drang Dean Martin mit seiner Stimme in mich und zementierte die Melodie gleichsam in mein Innerstes.

Es ist mit mir und diesen Liedern ein bisschen so, wie in der Russendisko von Vladimir Kaminer. Da gibt es eine Geschichte, in der er davon berichtet, wie jemand seine Russischkenntnisse ausschließlich von einer Kinderschallplatte bezogen hat. Dieser Mensch leitet jeden seiner Sätze mit „Und jetzt, mein kleiner Freund“ ein. Für mich fängt jedes Dean-Martin-Lied auf Papas Urlaubskassette mit der Einleitung „Mami, ich muss kotzen“ an, und ich weiß, dass es nichts gibt, was das jemals ändern könnte. Dazu sehe ich, wenn ich die Augen schließe, wunderbar grüne Autobahnraststätten in Österreich, Parkplätze in den Pyrenäen, an denen es immer einen Brunnen gab, an dem Mama meiner Schwester den Mund waschen konnte, oder die endlos oleanderbegrünten Leitplanken irgendwo entlang der Autostrada del Sole.

Das alles hört sich vielleicht ein klitzekleines bisschen unappetitlich an. Aber es so zu sehen, würde dem, was ich empfinde, in keinster Weise gerecht werden. Wer weiß, vielleicht hätte ich niemals zur grandiosen Sangeskunst Dean Martins gefunden, wäre da nicht mein Papa mit seinen Kassetten gewesen. Und mein Schwesterchen mit ihrem schwachen Magen. Sie wird mich wahrscheinlich jetzt dafür hassen, dass ich das ausgeplaudert habe, und auch Papa wird möglicherweise ein wenig unerfreut den Kopf darüber schütteln, dass sein Sohn mit Kotzegeschichten von früher in der Welt hausieren geht. Aber Leute, ihr hättet das nicht besser machen können. That´s amore!

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fuxbeck - 1. Jun, 18:33
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rationalstürmer - 2. Mär, 21:43
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Das mit der Glaubwürdigkeit ist ja eh so eine Sache....
rationalstürmer - 2. Mär, 21:41
Ich hab einen Magen-Darm-Dings,...
Ich hab einen Magen-Darm-Dings, da ist mir ein bisserl...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:38
Hahaha, Herr Passenger...
Hahaha, Herr Passenger ... das mit den eigenen Überzeugungen...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:36
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In meiner Erregung sehe ich mich veranlasst, hier -...
Pecas - 2. Mär, 20:47
Das Interview interschien...
Das Interview interschien ja wohl zeitgleich mit der...
stilhäschen - 2. Mär, 20:12
Ach, jetzt bist du plötzlich...
Ach, jetzt bist du plötzlich wieder hier. Da kennt...
St. Burnster - 2. Mär, 20:00
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Pecas - 2. Mär, 07:36
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Zuletzt aktualisiert: 1. Jun, 18:33

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