Donnerstag, 26. April 2007

Herbst

Ich war ein fast achtjähriger Bub damals, als selbst in dem Kaff, aus dem ich komme, überall die Fahndungsplakate hingen. Ich kann mir selbst heute noch nicht vorstellen, was damals in den Köpfen vorging. Im Hallenbad hingen gleich zwei, eins an der Eingangstür und eins am schwarzen Brett. Daran erinnere ich mich. Und an die an den Litfaßsäulen. Einmal hab ich zu meiner Mutter gesagt, wir hätten ja einen "Baader-Meinhof-Wagen". Keine Ahnung, wo ich das aufgeschnappt hatte. Meine Mutter ist erschrocken und hat mir verboten, das jemals nochmal zu sagen. Einige Zeit später saßen wir bei den Nachrichten, und meine Mutter sagte "Die Schweine. Jetzt hams an Schleyer umbracht!"

Mein Vater war eigentlich immer unterwegs, und uns gings ganz gut. Selbst ein Arbeiter konnte damals eben noch was werden. Deswegen hat mein Vater auch immer mit der Zweitstimme die FDP gewählt, solange ich klein war. Das Land oder die Arbeit - oder was auch immer - es hat damals noch irgendwie funktioniert. Also, es hat zumindest so funktioniert, dass jemand Arbeit hatte, wenn er etwas konnte, und sich mit dieser Arbeit etwas aufbauen ließ, was man wohl "bescheidenen Wohlstand" nennen mag. Schmidt war Kanzler, und meine Mutter sang manchmal "Hoch auf dem gelben Wagen". Das hieß glaube ich, dass sie Walter Scheel gut fand. Wählen durfte sie nicht in unserm Land, weil Ausländerinnen damals kein Wahlrecht hatten. Dass sie sich auch nach damals schon über zehn Jahren in Deutschland und trotz ihrer Ehe mit einem Deutschen alle Nase lang eine neue - befristete - Aufenthaltsgenehmigung im Generalkonsulat ausstellen lassen musste, das war wohl einfach so. Genauso, wie man eben zweimal im Jahr in Urlaub fuhr, mit dem neuen Auto, das man jedes Jahr gekauft hat. Und genauso, wie das, was von links kam und einen Parka trug oder gegen die Nato demonstrierte, irgendwie nicht anständig sein konnte. Über das korrupte Kuriosum Strauß hingegen wurde höchstens abfällig gelacht und auf den "Starfighter" verwiesen.

Trotzdem kenne ich wenige Eltern, die auf ihre Art so offen waren wie meine (und das heute noch sind). Vor allem alles Fremde war für sie nie irgendwie nie so uninteressant oder gar bedrohlich, wie es das für Eltern von Freunden war. Das wurde meiner Schwester und mir immer vorgelebt, dass Interesse und Neugierde etwas Gutes sind. Und mir ist erst viele viele Jahre später klar geworden, was das eigentlich zu bedeuten hatte, dass die alte Frau, der ein kleines Hotel in der Toskana gehörte, schon auf der Treppe stand und aus vollem Herzen den Namen meines Vaters auf Italienisch rief, wenn wir noch nicht mal die Koffer aus dem Auto vorm Haus geräumt hatten. Monatelang hatte mein Vater in der Raffinerie von Piombino gearbeitet und bei diesen Leuten gewohnt. Wenn er abends Hunger hatte, ging er in die Hotelküche und zeigte auf das, was er essen wollte, anders war Verständigung kaum möglich. Meine Schwester war gerade ein Vierteljahr alt, meine Mutter zum ersten Mal mitgekommen war. Und noch Jahre später war jede Reise in die Toskana so ungefähr, als würden wir da eine Art Verwandtschaft besuchen, die halt aus irgendeiner komischen Laune heraus nicht unsere Sprache sprach und wir nicht ihre. Unglaublich, dass meine Eltern und diese Hoteliersfamilie sich stundenlang mit einem Dutzend Brocken Italienisch und ansonsten mit Händen und Füßen unterhalten haben. Und wo wir auch hinkamen, in jedem Urlaub gab es Leute von da, zu denen meine Eltern uns regelrecht hinschleiften, nur damit wir sehen, wie schön so etwas ist.

Mit fremden Ideen allerdings wollte es einfach nicht klappen. Ich verstehe das bis heute nicht. Die RAF, das waren für meine Eltern glaube ich dieselben Schweine, wie es "das System" für die RAF war. Kein Verständnis, keine Offenheit, keine Neugierde.

Am Wochenende wird das erste Kind meiner Schwester getauft. Wir werden viel reden, auch über früher. Mein Vater schimpft zwar ständig über die Politik, aber es wird bestimmt auch über diese Zeit im Herbst damals gehen. Was in der Zeitung steht, wird auch besprochen. "Unglaublich eigentlich, dass deutsche Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden es in dreissig Jahren nicht hinbekommen, eine Serie von Morden aufzuklären", wird er sagen, "und dann bedarf es nur ein paar weniger Telefongespräche zwischen einem der damaligen Täter und dem Sohn eines der Opfer, um plötzlich einen ganzen Arsch voll erledigter Polizeiarbeit geliefert zu kriegen."

Meine Eltern haben sich irgendwie nie verändert, und es ist eine ganze Menge auf der Strecke geblieben in all den Jahren. Meine Mutter hat endlich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Mein Vater hält inzwischen auch die andere Seite für Schweine. Ich denke, ihre Blätter haben sich einfach gefärbt.

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neo-bazi - 26. Apr, 05:58

Ich sehe es wie deine Eltern. Vor allem aufgrund des ersten Anschlags in dem Kaufhaus, bei dem nur unschuldige Menschen dran glauben mußten. Gewalt ist nie eine Lösung, bestenfalls Notwehr. Das traf aber auf diesen Personenkreis nicht zu. Warum fällt es den Studenten bei ihren Revolutionen denn immer so schwer, die Arbeiter zu überzeugen?

Selbst wenn man - wie ich - später, als die RAF sich ihre Opfer gezielt aussuchte, ein gewisses Verständnis für ihre Aktionen aufbringen konnte (aus der Göttinger Uni stammte seinerzeit der Ausdruck *klammheimliche Freude*) bleibt es dabei: Gewalt ist keine Lösung.

Du hast deine Familie (und damit im Frühling den Herbst) ganz wunderbar beschrieben, ich habe dazu einen Musikvorschlag.
*

rationalstürmer - 26. Apr, 08:19

Nein, natürlich ist das keine Lösung, und wenn sowas kommt von sowas noch so einleuchten mag. Irgendwann fragte ich meinen Vater mal, warum er damals nichts wissen wollte von irgendwelcher Veränderung. Seine Antwort: "Ich hab gearbeitet! Ich hatte keine Zeit für sowas."

Sehr schöne Musik. Gefällt mir gut.
neo-bazi - 26. Apr, 08:21

Keine schlechte Antwort. Das hätten die Damen und Herren von der RAF damals vielleicht auch besser getan.

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