Mein Herze schwimmt im Blut. Zweiter Gesang
Stumme Seufzer, stille Klagen, Ihr mögt meine Schmerzen sagen, weil der Mund geschlossen ist. Und ihr nassen Tränenquellen könnt ein sichres Zeugnis stellen, wie mein sündlich Herz gebüßt. Mein Herz ist itzt ein Tränenbrunn,die Augen heiße Quellen. Ach Gott! Wer wird dich doch zufriedenstellen? (Johann Sebastian Bach, Mein Herze schwimmt im Blut. BWV 199. Aria & Recitativo)
Also wenn wir ehrlich sind, dann können wir es doch alle zusammen nicht mehr hören. Überall Gejammer und Wehgeschrei, nicht verstummendes Klagen und Zagen, wo man nur hinsieht.
Hier verliert einer seine mit viel schwitziger Mühsal und schurkenhafter Finesse zusammengelogene Existenz, dort bricht einem anderen das längst schon steingewordne Herzchen entzwei, und andernorts stirbt einem Buben sein Kaninchen an einem Übermaß an Zuwendung, während in leeren, grauen Kämmerchen die Einsamen und Betrogenen zwischen verstaubten Reliquien einer anderen Zeit sitzen und sich gar bitterlich die Äuglein nach etwas ausweinen, das es vielleicht nie gegeben hat. Überall tropft und trieft es vor gar grässlichen Schicksalen, aus jeder Ritze, aus jedem Loch quillt und fließt ein anderes Trauerspielchen, und ein jedes bettelt nach unserer Aufmerksamkeit, fleht um ein paar Augenblicke unserer Zeit, wirft sich vor uns zu Boden und umklammert unsere Beine und will nicht loslassen, so sehr wir es auch treten.
Und wir können uns nicht dagegen wehren. Es verfolgt uns, wohin wir auch fliehen. Schon verfluchen wir uns selbst für den ersten Augenblick, in dem wir hingesehen haben, zugehört, dagewesen sind. Wir wünschen uns fort und verwünschen die, die uns nicht in Ruhe lassen können, die uns unaufhörlich ihr Leid klagen müssen, ihren Schmerz, ihr sinnleeres Dasein. Und dann dieser gottverfluchte Drang zu reden. Die Zwanghaftigkeit, unter der sie uns aufbürden, was zu tragen sie selbst zu schwach sind. Das Elend der Anderen jagt uns von Jahreszeit zu Jahreszeit. Im Winter beklagt es die Kälte, im Sommer die Hitze. Im Frühjahr kommt es uns mit Allergien, und im Herbst trauert es darum, dass die eben noch so schön bunten Blätter verrotten müssen. Keine Ausrede ist dafür zu schade, keine Lüge zu billig, kein Grund zu dumm.
Und wenn sie doch einmal ihr Maul halten, dann sitzen sie wortlos und mit rotverquollenen und nassen Augen vor uns, Sturzbäche flennend und uns flutend mit all dem Rotz und Wasser, für das wir längst kein Taschentuch mehr haben.
Als ich verstanden hatte, dass die Stimme, die mir dies diktierte, mich gemeint hat, ging ich hinaus in den Frühling und sammelte voller Fröhlichkeit Schierling.
[Den ersten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
Also wenn wir ehrlich sind, dann können wir es doch alle zusammen nicht mehr hören. Überall Gejammer und Wehgeschrei, nicht verstummendes Klagen und Zagen, wo man nur hinsieht.
Hier verliert einer seine mit viel schwitziger Mühsal und schurkenhafter Finesse zusammengelogene Existenz, dort bricht einem anderen das längst schon steingewordne Herzchen entzwei, und andernorts stirbt einem Buben sein Kaninchen an einem Übermaß an Zuwendung, während in leeren, grauen Kämmerchen die Einsamen und Betrogenen zwischen verstaubten Reliquien einer anderen Zeit sitzen und sich gar bitterlich die Äuglein nach etwas ausweinen, das es vielleicht nie gegeben hat. Überall tropft und trieft es vor gar grässlichen Schicksalen, aus jeder Ritze, aus jedem Loch quillt und fließt ein anderes Trauerspielchen, und ein jedes bettelt nach unserer Aufmerksamkeit, fleht um ein paar Augenblicke unserer Zeit, wirft sich vor uns zu Boden und umklammert unsere Beine und will nicht loslassen, so sehr wir es auch treten.
Und wir können uns nicht dagegen wehren. Es verfolgt uns, wohin wir auch fliehen. Schon verfluchen wir uns selbst für den ersten Augenblick, in dem wir hingesehen haben, zugehört, dagewesen sind. Wir wünschen uns fort und verwünschen die, die uns nicht in Ruhe lassen können, die uns unaufhörlich ihr Leid klagen müssen, ihren Schmerz, ihr sinnleeres Dasein. Und dann dieser gottverfluchte Drang zu reden. Die Zwanghaftigkeit, unter der sie uns aufbürden, was zu tragen sie selbst zu schwach sind. Das Elend der Anderen jagt uns von Jahreszeit zu Jahreszeit. Im Winter beklagt es die Kälte, im Sommer die Hitze. Im Frühjahr kommt es uns mit Allergien, und im Herbst trauert es darum, dass die eben noch so schön bunten Blätter verrotten müssen. Keine Ausrede ist dafür zu schade, keine Lüge zu billig, kein Grund zu dumm.
Und wenn sie doch einmal ihr Maul halten, dann sitzen sie wortlos und mit rotverquollenen und nassen Augen vor uns, Sturzbäche flennend und uns flutend mit all dem Rotz und Wasser, für das wir längst kein Taschentuch mehr haben.
Als ich verstanden hatte, dass die Stimme, die mir dies diktierte, mich gemeint hat, ging ich hinaus in den Frühling und sammelte voller Fröhlichkeit Schierling.
[Den ersten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
rationalstürmer - 3. Apr, 09:01