Donnerstag, 12. April 2007

Mein Herze schwimmt im Blut. Sechster Gesang

Ich, dein betrübtes Kind, werf alle meine Sünd, so viel ihr in mir stecken und mich so heftig schrecken, in deine tiefen Wunden, da ich stets Heil gefunden. (Johann Sebastian Bach, Mein Herze schwimmt im Blut. BWV 199. Choral)


Element of Crime, Wenn der Morgen graut

Ach, was das doch für ein komisches und verschrobenes Ding ist, so ein zerdeppertes und kaputtgeprügeltes kleines Leben! Da will es einem davonlaufen, ins Jenseits hinüber beherzt den Sprung machen, weil doch auch so gar kein Geld da ist für den Fährmann, und so geschwinde bewegt es sich fort, dass man mit dem Sterben bald gar nicht mehr hinterherkommen mag, und auf einmal steht es ganz stumm und ganz bleich und ganz bedauernswert mitten auf dem Weg und verlangt zu rasten. Ja, hat man denn so etwas schon einmal gehört?

Ganz verständnislos fasst man es dann bei der Schulter an und will erfahren, welche Grillenhaftigkeit denn nun da wieder in es gefahren sei, dass man doch lange genug und in solcher Ausführlichkeit über die bevorstehende Verablebung gesprochen habe, die selbst einen Notar das Fürchten zu lehren allerbeste Anlagen hat, dass doch schließlich auch alle Anverwandten und sonstigen Nächsten davon in Kenntnis gesetzt seien, sie möchten, man bitte doch sehr, für ein liebendes Andenken aufkommen, dem Pfaffen am Grabe recht schnell das Wort abschneiden und nicht allzusehr sich grämen, wenn sie im letzten Willen nur mit ein paar kümmerlichen Resten bedacht würden - es kämen diese ja wirklich von Herzen - und dann bleibt dies beschissne kleine Ding einfach stehen und weist nach der Bank und dem Brunnen, dort hinten bei dem Baume und der kleinen Kapelle. Es ließe sich in seinem Schatten doch sicherlich wunderbar rasten, immerhin schmerzten die Füße im Mindesten so sehr wie die Seele, und überdies wäre man durstig und ein kühler Trunk käme doch da so gelegen wie nur irgendetwas, das müsse man nun schon zugeben, man habe ja auch einen wirklich garstig großen Teil der Strecke hinüber zu den Ewigen schon hinter sich gebracht, ohne auch nur ein einziges Mal Einkehr zu halten oder sich wenigstens für eine kleine Weile in das Moos am Wegesrand zu betten. Zumal jetzt auch ein guter Zeitpunkt sei, die Beichte vor dem Herrn abzulegen, welcher man sich bislang gar schändlich und verbissen entzogen habe.

Mit allem hat man sich abgefunden, ernsthaft mit allem. Vor der Zeit zu Tode gewürgt mit bloßen Händen und beerdigt hat man jedes noch so kleine Träumchen und mit viel Tränen und viel Geschrei hat man jedesmal am Grab gestanden mit seiner traurigen roten Rose. Drangegeben all die Dinge, die einem einmal etwas bedeutet haben. Eine schockierend grässliche Bilanz hat man aufgestellt, nichts ausgelassen, nichts verbogen, nichts verschoben noch geschönt und einzig den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ist man treu geblieben für diesen allerletzten Bericht, nachdem man sonst alles und jeden belogen und betrogen hat. Jeder noch so kleine Posten ein Schauermärchen für sich. Jeder einzelne Beleg ein Tritt in die Magengrube. Alles zusammen ein erschütterndes Dokument und bedrückende Antwort auf die Frage, wie es denn nur so weit kommen konnte. Hunderttausend glühend heiße Nadeln hat man sich selbst mit quälender Langsamkeit unter die Fingernägel geschoben. Viele und bitterste Tränen geweint um jede ausgeschlagene Gelegenheit, um jede sinnlos vertrödelte Sekunde, um jede nicht genommene dargereichte Hand. Aber am Ende hat man eben doch mit dem Kopf genickt und eingesehen, dass es so nicht mehr weitergeht, dass alle Auswege versperrt sind, alle Türen eigenhändig zugemauert wurden. Dass es das nun eben war mit der Burschenherrlichkeit. Dass da nichts mehr nachkommt. Dass ein Ende gemacht werden muss.

Wenn einem das alles so sehr bewusst ist und die Dinge zu Ende entschieden sind, dann kann auch so ein kleines Leben nicht einfach hergehen und trotzig mit dem Füßchen aufstampfen, nur weil vielleicht gerade ein besonders schönes Baumgrün und ein fröhlich plätscherndes Brünnlein zur Rast locken. Das hätte es sich vorher überlegen müssen, weit vorher. Noch bevor es mit seinem müden Haupt ankam und den Vorschlag für die letzte Reise unterbreitet hat, hätte es sich derlei denken können. Ein bisschen Hirn kann man schließlich schon erwarten und nicht den läppischen Wunsch, man möge sich doch noch einmal umdrehen und rasten, wo doch nur noch ein paar lumpige Tagesmärsche fehlen. Und überhaupt, was soll denn das für ein Dreck sein, jetzt auch noch die Beichte ablegen zu wollen?! Die Sünden wiegen schwer, heißt es, doch leiden kann man nie genug, heißt es auch.

Nein, jetzt will ich nicht mehr, mein liebes kleines Leben, und bist du mir auch noch so sehr ans Herz gewachsen. Das wird jetzt durchgezogen. Wir gehen weiter. Und wenn ich dich vor mir herprügeln muss. So viel Kraft ist noch immer in mir, dass ich dich schon erledigen werde. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.


[Den ersten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den zweiten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den dritten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den vierten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den fünften Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]

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neo-bazi - 12. Apr, 06:22

Vergiß den Choral.

rationalstürmer - 12. Apr, 09:42

Schon vergessen, Edi. Naja, fast.
flyhigher - 12. Apr, 08:24

Sag mal, lieber Rationalstürmer, ist denn in diesem Selbstmitleid in dem du dich seit 6 Gesängen suhlst auch ein Ende abzusehen? Nicht dass es nicht brilliant geschrieben wäre, aber langsam mache ich mir über diese langanhaltende Depri schon rechte Sorgen!

bittersweet choc - 12. Apr, 09:10

stimmt. ich habe schon fantasien, bei denen ich bis über beide ellenbogen in blut bade. herr rationalstürmer, was können wir tun to make you happy or happier?
rationalstürmer - 12. Apr, 09:49

Liebe Fly, ich weiß schon, dass man uns Menschen mit österreichischen Blutanteilen beizeiten nachsagt, wir wärn jetzt nicht grad unbedingt die Erfinder der tiefen Teller. Aber eins weiß ich: Bis acht können wir auf jeden Fall zählen. Es sind also noch zwei Lackerl Blut, durch die du hüpfen müsstest, und dann liegt er drunt in der finsteren Grube. Wie der Klestil Thomas, dessen große Sorge ja finalmente auch das Zeitliche mit ihm gesegnet hat.
rationalstürmer - 12. Apr, 09:52

Bittersüße: Freut mich sehr, dass ich dich zu gewissen Fantasien anregen kann, das hört man doch immer wieder gern, dass man nicht ins Ungewisse hineinschreibt ;-) Tun indes kann man da gar nichts. Das Glück kommt von selber oder gar nicht.
flyhigher - 12. Apr, 10:07

Wenn das übersetzt heisst, dass man von uns glaubt, dass wir Ösis keinen Tiefgang hätten, dann muss ich vehement dagegensprechen, gell :-)! Und 2 Gesänge schaff ich noch!
rationalstürmer - 12. Apr, 11:44

Ganz recht, das wollt ich hören! Mann soll ja ruhig auch einmal was durchhalten können.
St. Burnster - 12. Apr, 17:49

Wohin soll denn dieser Kanon eigentlich führen? Was passiert nach dem letzten Gesang? Und wer ehrliche Bilanz aus allem zieht, hat sowieso keinen Spaß an der Freud. Viel zu real ist das Leben, um sich daran zu verlustieren. Verdrängung und Selbstbetrug sind da schon eher ein Partygarant. Kann ich nur empfehlen. Aber zurück zu meiner eingänglichen Frage: Wie geht's weiter mit Sturm Rational wenn der Gesang verklungen ist? Und jetzt sag nicht: "When the music's over, turn out the lights."

rationalstürmer - 12. Apr, 21:36

Das schaut dir gleich, dass du natürlich wieder mit den ganz unangenehmen Fragen aufkreuzen musst, du Krawallheiliger.

Die Sach´ mit der Verdrängung und den Betrügereien am eigenen Ich klingt schon nicht so schlecht, aber dann bestünde die Gefahr, dass ich mir ein Santo Subito in den Header neipapp und als St. Sturmster durch die Weltgschicht geister. Was wiederum die zweifellos größere Gefahr nicht ganz ausschließbar machen tät, dass wir irgendwann auf dieselben Weiber stehen und uns sauber in die Haar kriegen täten.

Kann und will ich alles nicht riskieren, hab aber auf der andern Seitn echt keinen Plan, was ich mit dera elend zammgrittenen Buchstabenmaschine in meinem Sauschädl anfangen werd, wenn der Organist aufgestanden und gegangen ist und das Kircherl wieder ganz allein nach Weihrauch riecht anstatt nach meinen Ausdünstungen.

Und nachdem Good night and good luck außerdem ebenfalls als Schlusswort schon vergeben sind, werd ich mir ernsthaft Gedanken machen müssen. Alles net so einfach. Eine ganz seltsame Tür, die da aufgangen ist.
St. Burnster - 13. Apr, 01:02

St. Sturmster. Des is tatsächlich sehr lustig. Das war mein letzter Lacher für heut. Moing gehts weiter beim Polt auf d'nacht in die Wühlmäuse.
rationalstürmer - 13. Apr, 01:11

Brauchts des etzt wirklich, dassd du da lachst, ha!? Brauchts des jetzt wirklich? Dassd du hergehst und lachst, wo ich dir songmaramoi mein Innerstes nausgschoben hab oda wia ma sagt. Wo ich eine solche Offenheit dir gegenüber an den Tag gelegt hab und ein Vetrauen, net wahr. Dassd di du dann da hinstellst und sagst, dass du lachst. Du bist eine menschliche Sau.

PS. Vui Schbass. Oiso quasi eine Enthusiasmierung.
stilhäschen - 13. Apr, 19:32

Und auch wenn das jetzt der totale Barfußfeen-Kommentar ist: sehr wohl kann es das einfach, mit dem hergehen und trotzig aufstampfen, und daß es das tut, ist auch vollkommen recht, weil in die andere Richtung geht's ja auch nicht weiter, also eben schon, aber das wär' jetzt echt mal zu düster, blaues Band und der ganze Scheiß, komm schon, wer kann sich dem schon entziehen. Darf keiner.
Also nicht prügeln, sonst wird gesungen: "sind so kleine Hände..."

rationalstürmer - 13. Apr, 20:38

Danke, Barfußfee.
stilhäschen - 13. Apr, 20:58

Bittschön, gern gscheng.
(Die Seite heißt nicht wirklich http://ingeb.org ! Unfaßbar.)
stilhäschen - 14. Apr, 00:20

Und jetzt, wo ich mich's nach sieben Schnäpsen auch endlich anzuhören trau', fehlen mir die Worte.

Du bist schuld, daß ich mich jetzt mit dem Scheiß in den Schlaf wiege anstatt mit dem Burnstl seim Ohrwurm.
Ich sag nur: durchs Ohr verblutet, Riesensauerei auf dem Kissen.
rationalstürmer - 14. Apr, 12:56

Des kommt davon, du Hippiemädchen, wenn du mir mit so einem verspäteten Osterspaziergang lauter bunte Kleckser in meine schöne schwarze Sterbetapete neimachst.

Aber trotzdem gern gscheng, der Ohrwurm.
stilhäschen - 15. Apr, 10:00

Geh, du bist ja echt pervers.
Eddz ned wecher dera Dabeedn, mehr so wecher dera Musigg. Ka Wunder, daß mer da an Selbsdmord denggn mou.
rationalstürmer - 15. Apr, 11:05

Geecher di Dabeedn hädd ich aa kann Eiwand zuglassn, wall si jeder sei Wänd asuu obinsln und derbabbn derf, wäias will. Und wecher dera Musigg, naja, dou sixtas amoll, des is doch schäi, wenn di Laid a Verschdänndnis grieng, worumsasi aufhänger dänner. Und wenns wecher anner Musigg is.

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Die Frage nach dem Sein.

Du bist nicht angemeldet.

Die Beobachtungskamera.

Bist äigschloufm oda...
Bist äigschloufm oda wos? Iwarawal homa in easchdn...
fuxbeck - 1. Jun, 18:33
Nur zu. Immer her mit...
Nur zu. Immer her mit den Kommentaren - selbst wenns...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:43
Das mit der Glaubwürdigkeit...
Das mit der Glaubwürdigkeit ist ja eh so eine Sache....
rationalstürmer - 2. Mär, 21:41
Ich hab einen Magen-Darm-Dings,...
Ich hab einen Magen-Darm-Dings, da ist mir ein bisserl...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:38
Hahaha, Herr Passenger...
Hahaha, Herr Passenger ... das mit den eigenen Überzeugungen...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:36
ja du lieber mein vater
In meiner Erregung sehe ich mich veranlasst, hier -...
Pecas - 2. Mär, 20:47
Das Interview interschien...
Das Interview interschien ja wohl zeitgleich mit der...
stilhäschen - 2. Mär, 20:12
Ach, jetzt bist du plötzlich...
Ach, jetzt bist du plötzlich wieder hier. Da kennt...
St. Burnster - 2. Mär, 20:00
Triebtäter
Forcierte Penisverlängerung (pro Demagogen-Verfassungsdisse rtations-Plagiatseite...
Pecas - 2. Mär, 07:36
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Fellow Passenger - 2. Mär, 01:48

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