Sonntag, 15. April 2007

Mein Herze schwimmt im Blut. Siebenter Gesang

Ich lege mich in diese Wunden als in den rechten Felsenstein; Die sollen meine Ruhstatt sein. In diese will ich mich im Glauben schwingen und drauf vergnügt und fröhlich singen. (Johann Sebastian Bach, Mein Herze schwimmt im Blut. BWV 199. Recetativo)

Dabei muss ich sagen, dass sich mir der Brauch eines letzten Wunsches nie wirklich oder gar umfassend erschlossen hat. Es mag zum Ende hin eine tabula rasa, ein allerletztes Besenrein-Machen und Ausweisseln, ein unbefleckes Vermächtnis quasi, durchaus so manchen Zeitgenossen und ihrem schlechten kleinen Gewissen eine weihrauchdurchduftete Katharsis für ihr Exeunt corpus animaque bedeuten; Ich für meinen Teil jedoch vermag dem archaischen Ritus der Urfehde nichts abzugewinnen. Ich muss nicht eine Charta unterzeichnen, die für jetzt und alle Zeit einen Zustand zementiert, der regelt, welche Seite des Zaunes die meinige ist und welche die der Anderen, nur damit diese ihre Ruhe haben. Es reicht mir doch völlig zu sehen, dass der Zaun da ist um zu wissen, dass Trennung auch tatsächlich Trennung bedeutet. Die herablassende und menschenverachtende sogenannte Güte, mit der die Anderen mir auch noch ein Dokument darüber aushändigen, dass ich nicht mehr dazugehöre - sie stößt mich ab. Sie verursacht mir Abscheu. Ich brauche derlei nicht. Mein Blick ist immer noch scharf und mein Geist wach genug, dass ich begreife, auf welche Weise meine Ächtung vonstatten geht und welches ihr innerstes Wesen ist.

Zumal der letzte Wunsch doch einem in der Sache ganz und gar armseligen Glücksverständnis entspringt, nämlich einem, welches sich einzig und allein in dem Verlangen nach Wiederholung dessen erschöpft, was einer als schön empfindet. Aber ist dies nicht in Wahrheit ein bemitleidenswert dröges Immerzu-nur-Torte-fressen-Wollen, das erst bedenkt, wie dumm ein so oralprofanes Streben nach Glückseligkeit ist, wenn es entkräftet, leer und über und über besudelt von eigenem Erbrochenem über der stinkenden Abortschüssel hängt, in die es sich lange und lautstark übergeben hat? Verweist dies nicht auf eine ebenso geistlose wie sterbenslangweilige Vorstellung von Diskurssemantik, die kein Ende kennen noch wahrhaben will, die keinen anderen Beitrag leisten kann als die völlig inhaltsleere Phrase vom Was-ich-noch-zu-sagen-hätte, die - ohne es auch nur im Ansatz zu verstehen - das Bild der letzten Zigarette zum ungelenk zusammengeschraubten Perpetuum Mobile der eigenen Bedeutungslosigkeit macht und sich in diesem Laufrad auch noch mit der heiligen Wonne aller Unschuld totrennt? Die mit bewundernswert bornierter Einfalt negiert, dass man nun wahrlich nicht persönliche Bekanntschaft mit einem Glücksschmied geschlossen haben muss, um von seinem Hufeisen erschlagen werden zu können, wenn er es nur richtig geworfen hat?

Ich jedenfalls habe keinen letzten Wunsch. Warum sollte mir jetzt etwas erfüllt werden, das zu erreichen mir all die Jahre lang versagt und verboten war? Warum sollte ich jetzt, da alle Teile, die einmal mein Ich ausgemacht haben, sich in Auflösung befinden und allein zum Zwecke von irgend jemandes Seelenheil in Geiselhaft genommen werden, der mir zeitlebens verweigert hat, mich als den anzusehen, der ich wirklich war? Mit welcher Berechtigung verlangt einer nach einem Span von dem Kreuz, an dem ich mein Leben aushauchen werde, der sich zu gut oder zu feige oder beides zusammen war, auch nur einen einzigen Schritt des Weges zur Schädelstätte mit mir gemeinsam zu gehen?

Ich will mit offenen Wunden ins Grab gelegt werden, und wer sich solches nicht ansehen kann, den muss ich eben bitten, von Beileidsbezeugungen an meine Lieben Abstand zu nehmen und diese Gesellschaft nicht durch seine Anwesenheit zu entehren, sondern sein feines reines Gewissen und seinen ruhigen Schlaf weiterhin an den bekannten Vorverkaufsstellen zu erstehen, wo er auch sonst sein Geld für die Ablasszettelchen zum Eintritt ins verordnete Lügenparadies lässt.

[Den ersten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den zweiten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den dritten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den vierten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den fünften Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]
[Den sechsten Gesang von Mein Herze schwimmt im Blut gibt es hier.]

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St. Burnster - 15. Apr, 19:56

Erneut feines Fressi für die Latinismen-Liebhaber unter unserem Himmel. Mir ist das Gesinge ja ein wenig zu sehr ins Vorgräbliche angeschwollen. Mir schwant also nix Gutes für Teil 8. Und die Metapher mit Hufeisen und Glücksschmied erscheint mir a bisserl überkonstruiert, aber jetzt zur guten Nachrichten ohne Häme: Erneute gesegnete Wortgewalt und ein längst überfälliges Schlusswort zum Thema "Letzte Wünsche". Bravo!

rationalstürmer - 15. Apr, 22:34

Bald hammers ja überstanden, Burnse, und dann is a Ruah. Gfreit mi aber natürlich, dass du das Schlusswort in Richtung der "Letzten Wünsche" ebenfalls für notwendig hältst. Wenns auch sonst keiner macht, zefix.

Was die Metaphernkonstruktion angeht: Des is doch des Schöne am Leben, dass es selbst für die herbeigefaseltste Metapher noch einen Handwerker kennt, der sich brav hinsetzt und das basteln anfängt.
neo-bazi - 16. Apr, 09:40

Die Henkersmahlzeit Schweinshaxe? (Wie komm ich jetzt bloß auf Dürrenmatt?)

Nein, im Ernst: was mich am meisten stört, ist die rote Rose im vorigen (sechsten) Gesang. Da fällt mir Francoise Hardy ein mit ihrer Aversion gegen Nelken. Rosen sind zu solchen Anlässen unpassend - sie stehen am Anfang, nicht am Ende der Liebe.
flyhigher - 16. Apr, 10:34

"...mir schwant also nix Gutes für Teil 8....." mir leider auch nicht . Sollten das tatsächlich die letzten Gesänge meines so geschätzten Rationalstürmers sein? Ich hoffe nicht, ich hoffe dass du mir noch länger das Bloglesen versüsst mit so manchen netten Beiträgen...
rationalstürmer - 16. Apr, 14:22

Edi, ich kenn meinen Dürrenmatt grad nicht und kann deswegen jetzt auch keine Assoziationshilfe zur Schweinshaxen-Henkersmahlzeit geben.

Und auch zur Françoise und ihrer Nelkenaversion kann ich leider nicht so viel sagen. Natürlich geb ich dir recht, Rosen gehören zum Anfang einer Liebe. Aber es nun einmal auch so, dass Menschen mit roten Roten an Gräbern stehn. Traurig, aber wahr.
rationalstürmer - 16. Apr, 14:26

Beste Fly, das ganze Ding ist schließlich unter Zombie Ration veröffentlicht, und das hat seinen Sinn. Ich bin sozusagen dazu verflucht, auch nach dem finalen Gesang weiterzumachen. Wahrscheinlich manchmal sogar süß.
flyhigher - 16. Apr, 14:29

Das erfreut Auge, Hirn und Herz!
rationalstürmer - 16. Apr, 14:37

So is´ recht!
neo-bazi - 16. Apr, 17:42

Ich spreche von einem Krimi (Der Richter und sein Henker).

Und das mit der Rose sollst du auch gar nicht verstehen. Nur soviel:

Jemand hat Madame Hardy auf der Bühne in einer Live-Sendung im Fernsehen einen Strauß Nelken (in ihren Augen waren das Friedhofsblumen) überreicht. Da war die Sendung gelaufen. Ähnliches kannte ich bis dahin nur von Leonard Cohen.
rationalstürmer - 16. Apr, 19:35

Deswegen. Ich les doch keine Krimis. Da hat sich die Zigeunerin schon die Zähne dran ausbissen.

Und dank dir recht schön für die Erklärung mit der Frau Hardy. Ich hab ja schon wieder viel zu weit gedacht und gleich dieses Tote-Rosen-Liedchen von ihr herausgekramt. Aber mal ehrlich: Dass manche Frauen nicht gern Blumen geschenkt bekommen, das kann ich ja noch verstehen, aber dass man wegen ein paar Nelken so einen Aufstand macht, ich weiß ja nicht...
Au-lait - 16. Apr, 10:11

Wahnsinnsreihe. Ich bin da zwischenzeitlich so platt, ich weiß gar nicht, was Du sagen sollst. Nein. Was ich sagen will. Nein. Was ich sagen soll. Pollen verwirren - Rationalstürmer begeistern Hirn.

rationalstürmer - 16. Apr, 14:36

Erstmal, lieber Ole, bin ich saufroh, dass ich keinen Heuschnupfen hab ;-)

Aber ganz abgesehen davon freu ich mich - ebenfalls wie sau - über deine Anteilnahme. Auch wenn ich da viel Persönliches durch den Wolf drehe und die Originalschauplätze jeder für sich ein ziemlicher locus terribilis sind, bin ich echt glücklich darüber, dass dein Kommentar aufs Schreiben selbst abzielt, wenn ich dich richtig verstanden habe. Auch wenn mir schon klar ist, dass ich da mit Zutaten hantiere, die manchen zumindest zeitweise die Sorgenfalten aufs Gesicht treiben.
neo-bazi - 16. Apr, 17:44

Ich bin auch nicht allgerisch. Darf ich trotzdem schneuzen?
rationalstürmer - 16. Apr, 19:36

Ja freilich darfst du schneuzen. Du darfst sogar schnauzen, Bruderherz.

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Bist äigschloufm oda...
Bist äigschloufm oda wos? Iwarawal homa in easchdn...
fuxbeck - 1. Jun, 18:33
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Nur zu. Immer her mit den Kommentaren - selbst wenns...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:43
Das mit der Glaubwürdigkeit...
Das mit der Glaubwürdigkeit ist ja eh so eine Sache....
rationalstürmer - 2. Mär, 21:41
Ich hab einen Magen-Darm-Dings,...
Ich hab einen Magen-Darm-Dings, da ist mir ein bisserl...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:38
Hahaha, Herr Passenger...
Hahaha, Herr Passenger ... das mit den eigenen Überzeugungen...
rationalstürmer - 2. Mär, 21:36
ja du lieber mein vater
In meiner Erregung sehe ich mich veranlasst, hier -...
Pecas - 2. Mär, 20:47
Das Interview interschien...
Das Interview interschien ja wohl zeitgleich mit der...
stilhäschen - 2. Mär, 20:12
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Ach, jetzt bist du plötzlich wieder hier. Da kennt...
St. Burnster - 2. Mär, 20:00
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